CENERENTOLA REVIEW

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CENERENTOLA REVIEW

photo©Teresa Rothwangl


Kölner Stadt-Anzeiger Köln vom 19.12.2022

Autor: MARKUS SCHWERING

Seite: 20

Rubrik: KU

Seitentitel: Frühausgabe,Spätausgabe

Ausgabe: Hauptausgabe

2 von PMG gewichtet 7/2022

Mediengattung: Tageszeitung

Jahrgang: 2022

Nummer: 298

Auflage: 51.947 (gedruckt) 1 45.251 (verkauft) 1 45.595 (verbreitet) 1

Reichweite: 0,250 (in Mio.) 2

Aschenputtel am Broadway
Gelungene “Cenerentola” an der Kölner Oper – Adriana Bastidas-Gamboa glänzt als Angelina

VON MARKUS SCHWERING

Ein Aufstand, eine Revolte des Perso- nals gegen den Dichter? Tatsächlich wollen in einer Schlüsselszene des zwei- ten Aktes die Figuren nicht einfach mehr das Libretto – das eh noch nicht fertig ist – exekutieren, sondern sie umlagern Alidoro mit gegensätzlichen Forderungen, wie die Sache ihrer Mei- nung nach weiterzugehen habe.

Nein, wir befinden uns hier nicht einer Aufführung von Luigi Pirandellos legendärem Theaterstück “Sechs Perso- nen suchen einen Autor”, sondern in der neuen “Cenerentola” an der Kölner Oper. Aber das Prinzip ist das nämliche: Die italienische Regisseurin Cecilia Ligorio lässt in ihrem Deutschland- Debüt im Saal I des Staatenhauses Ros- sinis originalen “Philosophen” Alidoro zum Librettisten der Oper selbst mutie- ren. Der sitzt, zur Ouvertüre noch von Einfallslosigkeit gequält, an seinem Schreibpult, ehe sich dann seine Fanta- sie mit den Gestalten des Werkes füllt. Man könnte dieses beziehungsweise die Aufführung auch als die Versinnli- chung seines Kopftheaters auffassen. Aus all dem jedenfalls ergeben sich zwanglos jene Spiel-im-Spiel-Effekte, Spiegelungen und Vermischungen der Sphären, jene Abgründe von Theatrali- tät, die man im Prinzip nicht erst seit Pirandello, sondern schon von Shakes- peare und der romantischen Komödie her kennt.

Mitunter – etwa im neuen Bonner “Mas- kenball” – geht die gerade in der neue- ren Geschichte der Operninszenierung außerordentlich beliebte Etablierung neuer Fiktionsebenen seitens eines ambitionierten Regietheaters auch dane- ben. Diesmal aber gelingt sie in hohem Maße: Ligorio verstärkt vielmehr durch ihren konsequent durchgehaltenen Kunstgriff kongenial noch die realitäts- fernen Spieleffekte dieser maschinellen Aschenputtel-Komödie – die übrigens in

ihrer brutalen Zurschaustellung von Sadismus, Habgier und Unmenschlich- keit so “lustig” gar nicht mal ist.
Die Bühne (Gregorio Zurla) vollzieht all das einprägsam nach: Puppenhausartige Module, in einem schwarzen Raum mit Vorhang platziert, lassen eine illusioni- stische Wirkung gar nicht erst aufkom- men. Und immer wieder wird durch ihre Zweiteilung – rechts die Spielebene der Opernhandlung, links der über seinem Opus brütende Alidoro – das Regiekon- zept ins Auge und ins Gedächtnis gerückt.

Auch eine andere Übertragung funktio- niert bemerkenswert gut: Ligorio schickt die Handlung aus dem frühen 19. Jahr- hundert in die New Yorker Theater- sphäre der 30er bis 50er Jahre und ihr Umfeld (in das auch Angelinas Auf- stiegstraum gut hineinpasst) – mit ihren ziemlich genau kopierten Posen, Moden, Modellen und Ikonen samt Anspielun- gen auf Fred Astaire und Marilyn Mon- roe. Alidoro ist streng genommen auch kein “klassischer” Librettist mehr, son- dern Scriptwriter für eine Broadway- Produktion.

Diese Verlagerung macht nicht zuletzt den massiven Einbau von Revue-Ele- menten möglich: Tanzende Kellner und Kehrer, auch Alidoro-Vervielfachungen vitalisieren die Bühnenaktion noch effektvoll über das hinaus, was die so geschmeidig geführten wie spielfreudi- gen Darsteller von sich aus leisten. Das sängerische Niveau ist insgesamt hoch, aber unterschiedlich. Star der Pro- duktion ist wohl unstrittig Adriana Bastidas-Gamboa in der Titelpartie. In ihrer auf dem Laufsteg vor dem Orche- ster gesungenen Finalszene “Non più mesta accanto al fuoco” gelang ihr etwas, was sich bei dieser Oper sonst nur selten ereignen will: das Herz des Zuhörers zu rühren. Und das lag nicht nur an der selbstverständlichen Brillanz, mit der sie das Feuerwerk ihrer Kolora-

turen zündete. Vielmehr verbindet sich die füllige Sinnlichkeit ihrer Altlage immer wieder mit jener Melancholie, die die eingefahrene Typik der Opera buffa immer wieder sprengt. Ohne dass es dabei zu einem Stilbruch käme. Pablo Martinez als Ramiro erreicht die- ses sängerische und darstellerische Intensitätsniveau leider nicht. Dass er seinen Tenor nicht zum Stierkampf schickt, sondern mit feinem, hellem und flexiblem Wohlklang füllt, ist begrü- ßenswert – so erwartet man es von den lateinamerikanischen Belcanto-Stim- men unserer Tage. Aber es fehlt an Power, Raum, Glanz und Legato-Aura – wenn Martinez etwas von “Rache” singt, nimmt man ihm das einfach nicht ab. Glatt überfordert hingegen wirkte Chri- stoph Seidl als Alidoro.

Einnehmend aber alle anderen Solisten: Jennifer Zein und Charlotte Quadt als exaltiert-fiese Grafentöchter, Wolfgang Stefan Schwaiger als eleganter Diener Dandini, Omar Montanari als Don Magnifico – ein in Timbre und Ausstrah- lung mit allen Wassern gewaschener Buffa-Bariton. Der Männerchor kommt opulent, wenngleich einzelne Stimmen herausfallen.

Das Gürzenich-Orchester legt unter dem italienischen Gastdirigenten Matteo Beltrami eine bemerkenswerte Agilität, Spritzigkeit und rhythmische Prägnanz an den Tag. Den Klangkern liefert das Streicher-Brio, auf das die einzelnen Bläser ihre Glanzlichter setzen. Diese Leistung ist zumal angesichts der Tatsa- che zu loben, dass die trockene Akustik falsche Töne (von denen es immer noch einige gab) gnadenlos aufdeckt. Darun- ter geht es freilich auch nicht: Bei mäßi- ger Performance büßt Rossinis Maschi- nenmusik jeden Reiz ein.

Einhelliger Beifall für eine insgesamt erfreuliche Jahresend-Produktion.

Vitalisierung

der Bühne durch tanzende Kellner

STÜCKBRIEF

Künstlerische Leitung: Matteo Beltrami Inszenierung: Cecilia Ligorio
Bühne: Gregorio Zurla
Darsteller: Adriana Bastidas-Gamboa, Pablo Martinez, Wolfgang Stefan

Schwaiger, Omar Montanari, Jennifer Zein, Charlotte Quadt, Christoph Seidl Dauer: drei Stunden inkl. Pause
Nächste Aufführungen: 21., 23., 25., 27., 29., 31. Dezember

Das Werk
als Versinnlichung von Alidoros Kopf-

theater
Einhelliger Beifall
für eine erfreuliche Jahresend-Produk- tion

Abbildung:
Wörter: Urheberinformation:

Adriana Bastidas-Gamboa als Aschenputtel Foto: Matthias Jung 772
(c) M.DuMont Schauberg

© 2022 PMG Presse-Monitor GmbH & Co. KG


Kölnische Rundschau Köln vom 19.12.2022

Autor: Olaf Weiden

Seite: 10

Rubrik: KULTUR

Seitentitel: Frühausgabe,Spätausgabe

Ausgabe: Hauptausgabe

Mediengattung: Tageszeitung

Jahrgang: 2022

Nummer: 298

Auflage: 9.060 (gedruckt) 1 7.892 (verkauft) 1 7.952 (verbreitet) 1

Reichweite: 0,044 (in Mio.) 2

Tanz als Konfliktlösung

Fulminante Neuinszenierung von Gioacchino Hochtempo

Von Olaf Weiden
Köln. Die Neuinszenierung des Büh- nenhits “Aschenputtel” fegt mit harten Besenborsten den Staub aus dieser letz- ten komischen Oper des italienischen Lebemannes Gioacchino Rossini. Die junge italienische Regisseurin Cecilia Ligorio, in ihrer Heimat auf allen großen Bühnen ein Dauererfolg, siegte bei ihrem Deutschland-Debüt im Köl- ner Staatenhaus mit schlauem Konzept und einem hochmotivierten Ensemble. Ligorios Regie integriert gern auch Tanz-Performance, seit einem Jahr- zehnt arbeitet sie mit der US-Choreogra- fin Daisy Ransom Phillips zusammen. Beide entdeckten in dem Märchenstoff “La Cenerentola” den Tanz als Konflikt- lösung und versetzten das Stück aus alter Zeit auf die leidenschaftliche Amü- siermeile der frühen Musical-Kultur am Broadway.
Dazu mutierte der ursprüngliche Prin- zen-Lehrer und Strippenzieher Alidoro zum Broadway-Literaten. Die Bühne teilen sich nun Macher und Gemachte, links der Autor am Schreibtisch – die Geigensaiten nageln 1/16-Ketten wie Schreibmaschinenrattern -, rechts die bornierte Familie des Don Magnifico mit ihrem Aschenputtel. Zwei Kammer- musikbühnen stehen hinter dem Orche- stergraben, optimale Rampen-Position für die anspruchsvolle Musik.
Matteo Beltrami steht hinter dem Diri- gierpult, singt alle Texte auswendig mit und koordiniert die Bühne und sein sehr aufgewecktes Orchester. Rossini über- trifft sich selbst in den Arien und Ensembles, und die frappierende Wir- kung dieser Zungenbrecher- Achter-

bahnfahrten stellt sich bei gewagtem Hochtempo besonders massiv ein – und wirkt dann selbst schon wieder komisch. Witzig erscheint auch die Diskrepanz zwischen Aufwand und Effekt: Höchste technische Ansprüche an die Geläufig- keit der Gurgel und entsprechend an die Orchestersolisten dienen dem Selbst- zweck.

In den Ensembles verlangen sie gera- dezu artistische Fähigkeiten, die inein- ander knapp verzahnten Einsätze und Ausbrüche zu synchronisieren. Auch deshalb kauerte im Souffleuse-Kasten eine Dame mit Dirigierstab ganz nah bei den Sängern. Und auch die manchmal wild artikulierende Pianistin Theresia Renelt saß für ihre gekonnte rezitativi- sche Begleitung am Hammerflügel direkt am Bühnenrand.

Dem Schreiberling selbst assistieren zunächst sechs Tänzer bei seinem Geschäft, die seine Routineabläufe zwi- schen Schreibplatz, Cognac-Flasche und Aschenbecher wie in den Kindertagen des Films in Einzelbilder auflösen, eine bewegte Dauerschleife erzeugen wie einst das Daumenkino. Der spätere Ball auf geweiteter Bühne birgt unaufdring- lich, aber trotzdem effektiv die Stunde der Tanzmeister, da lassen sie tanzen und schwenken die Protagonisten ins Licht.

Ihre Showtreppe trifft natürlich zunächst die wunderbare Adriana Bastidas-Gam- boa, deren Titelrollen-Schönheit in der Ball-Szene den gesamten Männerchor ohnmächtig niedersinken lässt. Sie hatte bereits in einer “halb-konzertanten” Köl- ner Opernproduktion diesen Effekt aus- gelöst und auch damals gesanglich

begeistert.
Aber jetzt in ihrer finalen Koloratur- Schlacht, als Botin der Güte und des Guten, betörte ihr Mezzo besonders. Als Nebensonne und böser Antipode ent- puppte sich Omar Montanari als aufge- blasener daueralkoholisierte Don Magnifico, der als unfreiwilliger erster Trottel bravourös sang und spielte. Ihn präsentierten die Tänzer im Ballsaal vir- tuos auf tanzenden Tischen.
Zwischen diesen Charakteren tummel- ten sich bezaubernd aufgedrehte Töch- ter (Jennifer Zein und Charlotte Quadt), ein quirliger Dandini (Wolfgang Stefan Schwaiger) und ein schüchterner Prinz Don Ramiro (Pablo Martinez). Auf der Seite des Guten blieb Christoph Seidl als Autor Alidoro, dessen neue Rolle jetzt letztlich das Ende der bekannten Story bestimmte. Denn Rossinis Libret- tist Jacopo Ferretti vermeidet jede Rache und versöhnt die Familie – auch in unseren Tagen ein wirklich märchen- haftes Finale.

Drei Stunden mit Pause, wieder am 21./23./25./27./29./31.12.22 und 4./6./8.01.
Auf einen Blick

Das Stück: Rossini führt das sängerisch Machbare an seine komischen Grenzen Die Regie: Cecilia Ligorio erfindet ein modernes Märchen um Aschenputtel Die Musik: Kleinteilige Virtuosität for- dert technische Höchstleistung, locker präsentiert. (ow)

Abbildung:
Wörter: Urheberinformation:

Ein Aschenputtel, das den Widersachern vergibt: Adriana Bastidas-Gamboa.Foto: Matthias Jung 560
(c) M.DuMont Schauberg

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Live in der oper

LA CENERENTOLA – Liebe auf den ersten Blick

18. Dezember 2022

Respekt, Liebe und Güte – die Trias der klassischen romcom, der romantic comedy. Pretty Woman lässt grüßen. Da zieht ein hübscher Prinz übers Land, um im Nullkommanix eine passende Frau zu finden. Dann schlägt die Liebe ein wie ein Blitz. Und im Märchen wie in der

romantischen Komödie lösen sich alle Widrigkeiten und Verwicklungen auf – sie kriegen sich. Wenn dazu die berauschend spritzige Musik von Gioacchino Rossini in seinem Dramma giocosa La Cenerentola erklingt, darf man sich im Staatenhaus auf einen fulminanten Abend

in der Oper Köln freuen.

Vor gut 200 Jahren feierte La Cenerentola ossia la bontà in trionfo (Das Aschenputtel oder der Triumph der Güte) seine Uraufführung in Rom. Der Märchenstoff war in ganz Europa bekannt und Jacopo Ferretti gestaltete über Nacht daraus ein bezauberndes Libretto – so wird es kolportiert. Gesichert ist, dass Rossini mit ihm gemeinsam in Rekordzeit diese Oper

verfasste, die sich zu einem echten Repertoire Renner entwickelte. Die rasante Ouvertüre stammt aus einem Stück, das floppte, das charakteristische Auf- und Abschwellen im

Crescendo-Decrescendo drückt der Oper ihr Markenzeichen auf. Das Höher, Schneller, Toller

zieht sich temperamentvoll durch das ganze Stück.

Die Zutaten zu diesem Meisterstück der italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts: Da schuftet Angelina, eine der drei Töchter von Don Magnifico, wie eine Magd im Haus ihres Vaters, während sich die beiden Schwestern Clorinda und Tisbe wie verwöhnte Gören auf Outfit, Nagellack und perfekte Locken kaprizieren. Don Magnifico – nomen est omen – fühlt sich zu Großem berufen, träumt aber, er sei ein Esel. Tja, Selbst- versus Fremdwahrnehmung. Er steckt in finanziellen Kalamitäten; da kommen ihm die Heiratspläne des Don Ramiro gerade recht. Eins der beiden zickigen Girls wird das Rennen schon machen! Er selbst führt sein böses Regiment im Haus als großmäuliger, versoffener Depp, der sogar die Existenz der dritten Tochter leugnet.

Prinz sucht Frau – dazu haben sich Don Ramiro und sein Diener Dandini eine Posse ausgedacht. Beide tauschen die Kleider, damit das Herz sprechen wird und nicht die Aussicht auf eine exzellente Partie. Dandini genießt den Rollentausch, den er später sehr kleinlaut

rückgängig macht. Aber bis dahin nimmt tatsächlich das Schicksal seinen Lauf. Angelina, der Engel, taucht auf dem Ball des Prinzen auf und blendet alle mit ihrer Schönheit und ihrem Liebreiz. Bei ihrem Anblick fällt der gesamte Herrenchor mit einem schmachtenden Seufzer in Ohnmacht – sehr hübsch gemacht! Im Märchen der Gebrüder Grimm begibt sich der Prinz nun nach der Ballnacht auf die Suche nach dieser märchenhaft liebreizenden Erscheinung und – wir wenden uns mit Grausen ab. Die beiden gehässigen Schwestern hacken sich Ferse und Zehen ab, um in das entzückende Pantöffelchen zu passen. Die beiden Italiener, weitaus weniger blutrünstig, statten Angelina mit zwei Armbändern aus. Eins davon schenkt sie Don

Ramiro zum Abschied: Wer das Pendant trägt, ist die echte Braut.
Die programmatische Güte triumphiert. Don Magnifico und die zänkischen Töchter erwarten

zerknirscht die gerechte Strafe für ihre Bosheiten, aber Angelina vergibt ihnen. Für das Konzept des großmütigen Ethos steht Alidoro. Im Original fungiert er als der Prinzenerzieher, der dem jungen Herrscher nicht nur die Kunst der Staatsführung vermittelt, sondern ein aufgeklärtes Konzept von Würde und Anstand, Respekt und Güte mit auf den Weg gibt. Diese Figur verfremdet die Regisseurin Cecilia Ligorio. Ihr Alidoro ist ein New Yorker Schriftsteller im Art Deco Ambiente, der sich kettenrauchend in einer Schaffenskrise befindet. Schließlich

hat er den zündenden Gedanken, das Aschenputtel Märchen in die Zeit derroaring twenties zu verlegen. Wie ein allwissender Erzähler ist er omnipräsent, Angelina sinkt ihm am Ende dankbar in die Arme. Schließlich hat er das Wunder, diesen kometenhaften Aufstieg von

der Magd zur royalen Herrscherin, herbeigeführt.

Ligorio inszeniert zum ersten Mal an einer deutschen Bühne und überzeugt mit vielen witzigen Details, die das Publikum mit spontanen Lachern kommentiert. Das Konzept des Dichters mit der Schreibblockade genauso wie die Transposition des Geschehens ins New York der 20-er Jahre zünden. Art Deco auf der Tapete und der Krawatte, der kristallene Whiskey Tumbler sowie das gesteppte Ledersofa legen den Schauplatz um 100 Jahre zurück, die Typografie für das Tanzlokal/den Prinzenpalast PALACE genauso zeitgemäß wie das Lichtdesign. Dann macht sie unbekümmert Anleihen aus den Romanzen der 50-er Jahre, großen Revuen und kleinen Tanzszenen, die die Diva in die Arme aller jungen Männer schweben lässt – mit nahezu akrobatischen Hebefiguren. In diese Zeit passen auch die Donnerfrisuren von Tisbe und Clorinda: wie seinerzeit Marilyn Monroe und Jane Russell als die ewig konkurrierenden Sexsymbole in blond und brünett.

Eine sehr glückliche Hand hat bewiesen, wer den Cast für diese Produktion zusammengestellte. International sowieso: Die Sängerinnen und Sänger stammen aus Kolumbien, Österreich, den USA, Italien und Deutschland. Die Stimmen harmonieren

vorzüglich, ob im Duett, im Quintett oder den beiden wunderbaren Septetten. InLa Cenerentola bildet ein knapp 30 Mann starker Herrenchor Don Ramiros Höflinge. Rustam Samedov hat die Sänger wie immer wunderbar vorbereitet: klar akzentuiert und beweglich in jeder Hinsicht. Das Ensemble ergänzen sechs Tänzer (Giovanni Buttacavoli, Leon di Domenico, César José Gutiérrez Salas, Spyros Ntogas, Kyle Patrick, Álex Vasquez Gala), die in verschiedene Rollen schlüpfen: als Alidoros Alter egos, als Angelinas Begleitgruppe zum Ball, als visuelle Schmankerl während des Zwischenspiels oder als stumme Kommentatoren der Ereignisse. Die Idee, wie im antiken Drama das Geschehen zu spiegeln, ist nicht neu,

aber hier besonders schön anzusehen.
Drei Bässe weist die Oper auf, Dandini, Alidoro und Don Magnifico, Barone di Montefiasco.

Letzterer ein Buffo-Bass par excellence. Allein der Name! Der Großartige, Baron vom Flaschenberg und auch Baron vom Reinfall. Omar Montanari gibt diese Partie mit ungeheurem Spielwitz, mit herrlichem Gesang und versöhnlichem Charme. Wer kann so einem selbstverliebten Narren wohl lange böse sein? Wolfgang Stefan Schwager, den das Kölner Publikum bereits als Barbiere feierte, glänzt mit Basskoloraturen und augenzwinkerndem Charme. Einmal Prinz sein … für Kölner ja ein geflügeltes Wort! Als

seriöser Bass ergänzt Christoph Seidl, Ensemble-Mitglied am Aalto Theater Essen, die drei tiefen Lagen. Distanziert vom Geschehen behält er immer den Überblick und haut bei den richtigen Eingebungen kräftig in die Tasten seiner mechanischen Schreibmaschine. Natürlich

im Takt der Musik. Als Künstler hat er für den sich entfaltenden Irrsinn die passende Metapher als Titel seiner Arie: „Il mondo è un gran teatro“ (Die Welt ist ein großes Theater) parat und

als Philosoph, der deutlich für die Humanitas plädiert, mit „La del ciel nell’arcano profondo“ (Jenseits des Himmels, im tiefsten Arkanen). Von Stimme und Ausstrahlung genau die Figur, der Angelina gleich zu Beginn die ihr ureigene carità angedeihen ließ. Als Bettler versorgte sie ihn mit einem Frühstück, während ihre Schwestern gehässig über den schmutzigen Kerl lästerten.

Bei den grässlichen Schwestern paart Rossini einen leichten Koloratursopran mit einer expressiven Mezzosopranistin. Jennifer Zein als Clorinda verfügt über die schnippische Leichtigkeit und das kapriziöse Tänzeln. Charlotte Quadt erfreute in der vorigen Spielzeit

bereits das Bonner Publikum als Tisbe mit ihrem komödiantischen Talent. Ihr feiner, tiefer Mezzosopran oszilliert zwischen gehässiger Schärfe und einschmeichelndem Timbre. Bravissime le due!

Das Traumpaar geben Adriana Bastidas-Gamboa und ihr kolumbianischer LandsmannPablo Martinez. Ob das perfekte Zusammenspiel der selben Herkunft geschuldet ist? Dem Tenor hört (und sieht) man an, dass er bei Juan Diego Flórez Meisterkurse belegt hat. Fein prononciert, absolut sicher in den Höhen, eine strahlende Erscheinung, die mit der Parade-Arie „Si, ritrovarla, io giuro“ (Ja, Ich finde sie wieder, ich

schwöre.) Begeisterung und großen Zwischenapplaus hervorruft.

Eine Ausnahmekünstlerin ist die Mezzosopranistin Adriana Bastidas-Gamboa. Ob als Carmen im combat suit, als Rosina im Rokkoko-Kleid, als Miranda im schlichten Schwarzen oder jetzt

als Cenerentola in großer Oscar-Verleihung-Abendrobe – sie verfügt darstellerisch und sängerisch über eine enorme Bandbreite. Ihren ersten Auftritt bereitet ein großer Orchesterakkord vor, dem dann ihre betörend schöne Stimme nicht mit der Auftrittsarie, nein mit einem einfachen Lied, am Ofen zu singen, folgt. Die Canzone „Una volta c’era un re …“ (Es war einmal ein König) erzählt prospektiv ihre eigene dann folgende Geschichte. Nichts

bereitet das Publikum darauf vor, wie sie in ihrer letzten großen Arie ihre Stimme höher und höher schraubt, ihre Koloraturen ins schier Unermessliche wachsen. Dieses Volumen und den

langen Atem nach drei Stunden so leicht und scheinbar mühelos zur Verfügung zu haben – ganz großes Können, ganz große Kunst. Die letzten Töne lösen sich dann ganz entspannt wie von selbst – bravissima Adriana.

Matteo Beltrami am Pult gestaltet die Musik als Spiegelbild der Cenerentola-Welt von bescheiden-fein zu großartig-überschäumend. In der Ouvertüre lässt er das Gürzenich Orchester nur andeuten, zu welch bombastischen Crescendi die Oper noch aufsteigen wird. Er nimmt die Musikerinnen und Musiker so weit zurück, dass das Sängerensemble auf der dahinterliegenden Bühne auch die Piano-Passagen stimmlich gut gestalten kann. Fein ergänzt Theresia Renelt am Hammerflügel das Orchester. Sie begleitet die Rezitative,

improvisiert aber hier und da auch mit Partitur-Elementen im Stil von Swing und Jazz. Nice!

Fazit: Das Aschenputtel all’italiana berauscht mit Musik, Gesang und Tanz. Die Rahmenerzählung fügt einen nostalgischen Flash back in den 20-er und 50-er Jahre American way of life hinzu, inklusive Gangstermilieu, halbseidene Gesellschaft und Paparazzi. Perlend präsentiert, eine sprühende Neu-Erfindung des jahrhundertealten Märchens vom Schicksal, das sich wendet.


ITEATRIDELLEST

COLONIA: La Cenerentola – Gioachino Rossini, 17 dicembre 2022 a cura di Bertha Dietrich

18 dicembre 2022

COLONIA: La Cenerentola – Gioachino Rossini, 17 dicembre 2022 a cura di Bertha Dietrich

Gioachino Rossini

LA CENERENTOLA


DirettoreMatteo Beltrami

Regia Cecilia Ligorio

Personaggi e Interpreti:

  • Angelina Adriana Bastidas Gamboa
  • Don Ramiro Pablo Martínez
  • Dandini Wolfgang Stefan Schwaiger
  • Don Magnifico Omar Montanari
  • Clorinda Jennifer Zein
  • Tisbe Charlotte Quadt
  • Alidoro Christoph Seidl 

Coreografia Daisy Ransom Phillips 

Scena Gregorio Zurla 

Costumi Vera Pierantoni Giua

LuciMarco Giusti

Maestro del Coro Rustam Samedov

Drammaturgia Stephan Steinmetz 

Coro CHOR DER OPER KÖLN

Orchestra GÜRZENICH-ORCHESTER KÖLN

Oper Köln, 17 dicembre 2022


“Rapirai tutti i cuori” questo profetizza Alidoro ad Angelina e così è stato: La cenerentola di Rossini ha conquistato il pubblico dell’Oper Köln che ha riservato agli interpreti applausi a scena aperta e standing ovation finale.

Oper Köln: La Cenerentola – Gioachino Rossini, foto©Matthias Jung

Cecilia Ligorio , regista di questa nuova produzione, ambienta la vicenda sul finire degli anni 30 del secolo scorso; il suo konzept parte proprio da una frase della protagonista: “Un’ora sola portatemi a ballare”. Questo è il suo desiderio, prima negato dal patrigno e poi esaudito da Alidoro, che la condurrà non al palazzo del principe ma all’interno di un musical dove finalmente, come una novella Ginger Rogers, ammalierà tutti i presenti a passo di danza e peripezie canore. L’idea è coerente, lo spettacolo funzionale ei personaggi ben delineati. Ligorio cura nei minimi particolari i movimenti sia dei singoli interpretati sia delle masse. Eleganti e glamour la scenografia di Gregorio Zurla , i costumi di Vera Pierantoni Giuae la coreografia di Daisy Ransom Phillips .

Oper Köln: La Cenerentola – Gioachino Rossini, foto©Matthias Jung

Note assai liete anche sul versante musicale: La Guerzenich Orchestra fornisce una prova maiuscola in quanto a precisione, brillantezza e duttilità. Archi sempre impeccabili anche quando i tempi si fanno serrati e ottimi i soli degli strumenti a fiato. Il maestro Matteo Beltramioffre una lettura fresca, scattante, molto personale ma anche stilisticamente pertinente grazie a cadenze e variazioni. Il direttore, evidentemente a suo agio nel repertorio rossiniano, ottiene dalla compagine orchestrale un suono trasparente, italiano, garantisce un aplomb perfetto in tutti i difficilissimi concertati e guida con perizia i cantanti.

Oper Köln: La Cenerentola – Gioachino Rossini, foto©Matthias Jung

Benissimo anche il Coro dell’Opera di Colonia che canta con pronuncia impeccabile e soprattutto recita per tutta la durata dell’opera con grande mestiere, divertendosi e facendo divertire il pubblico.

Adriana Bastidas Gamboa è una Angelina dal colore caldo, volume discreto, agilità sgranate e gli acuti svettanti. Il rondò finale è cantato con omogeneità di registri e una facilità davvero invidiabili! Al netto di un breve momento di intonazione perfettibile, Il Principe Ramiro di Pablo Martinez sfoggia presenza e fraseggio nobile, voce dotata di morbidezza nei cantabili e squillo in acuto.  Wolfgang Stefan Schwaiger è un Dandini giovane, fresco dal colore chiaro che possiede agilità inappuntabili e una recitazione spigliata.

Oper Köln: La Cenerentola – Gioachino Rossini, foto©Matthias Jung

Mattatore della serata è il Don Magnifico di Omar Montanari , che racchiude in sé tutti i pregi dei grandi bassi buffi del passato (sillabato, cesello del fraseggio e tempi comici perfetti) uniti finalmente a una voce dal timbro e volume appropriato. Istrionico, graffiante, mai banale è un patrigno snob e alcolista e la sua aria della cantina è da manuale!

Christoph Seidl , Alidoro, nonostante sia una voce adatta a un repertorio più drammatico, riesce a venire a capo di una delle arie più temibili del repertorio rossiniano. Jennifer Zein e Charlotte Quadt , rispettivamente Clorinda e Tisbe, sono due sorellestre divertentissime e tutto pepe, a cui vengono richieste una recitazione impegnativa da parte della regista e virtuosismo vocale da parte del direttore che non risparmia le loro variazioni e abbellimenti.

Oper Köln: La Cenerentola – Gioachino Rossini, foto©Matthias Jung

Probabilmente, grazie alla presenza di un regista e di un direttore italiani, si è notata, infine, una pronuncia particolarmente curata da parte di un cast pressoché composto da stranieri: finalmente i recitativi sono risultati comprensibili, aggiungendo e “recitati” con le giuste intenzioni e non buttati via come si sente quasi ovunque oltralpe. Insomma una Cenerentola di altissimo livello e ben riuscita sotto tutti i punti di vista.

A fine serata, come già scritto, il pubblico ha riservato applausi calorosi per tutti con punte di entusiasmo per Montanari, Beltrami e il team creativo.

Bertha Dietrich


DASOPERNMAGAZINE

Oper Köln/CENERENTOLA/Adriana Bastidas-Gamboa, Pablo Martinez/ Foto © Matthias Jung

Das junge Regieteam bringt frischen Wind in die Kölner Oper. „La Cenerentola“ in der Inszenierung der italienischen Regisseurin Cecilia Ligorio mit der Choreographie von Daisy Ransom Phillips ist ein wahres Fest des Belcanto, des Tanzes und des Glamours à la Hollywood. Der junge italienische Dirigent Matteo Beltrami kreiert mit dem Gürzenich-Orchester perfekte Italianitá, und mit dem Bühnenbild im Stil einer Hollywood-Revue von Gregorio Zurla, das alle Chancen des riesigen Staatenhauses nutzt, erlebt man Opernglück pur. (Rezension der Premiere v. 17.12.2022)

Die 39 Opern, die Gioacchino Rossini in der Zeit von 1810 und 1829 schrieb, führten zu seiner Zeit in Europa zu einem wahren Rossini-Fieber. Der Komponist widmete sich danach nur noch der Kochkunst, was sich in einer beachtlichen Leibesfülle niederschlug. Der bereits ertaubte Ludwig van Beethoven soll 1822, nachdem er die Partituren des „Barbiere“ und dreier ernster Opern Rossinis gelesen hatte, gesagt haben, dass dessen Komödien erheblich besser seien als seine tragischen Opern. Beethovens Urteil hat sich bewahrheitet: Neben dem „Barbiere di Siviglia“ hat sich das Dramma giocoso „La Cenerentola ossia La bontá in trionfo“ im Repertoire gehalten, und das hat seinen Grund.

Es gibt kaum eine Oper Rossinis, die reicher ist an üppig blühenden Melodien, an überbordendem italienischem Sprachwitz, an spritzigen Ensembles, an witzigen Einfällen und an einer erhebenden Handlung. Es geht um nicht weniger als um den Triumph des Guten durch die Macht der Vernunft.

Oper Köln/CENERENTOLA/Adriana Bastidas-Gamboa, Omar Montanari, Charlotte Quadt, Christoph Seidl, Jennifer Zein, Pablo Martinez, Wolfgang Stefan Schwaiger/Foto © Matthias Jung

Das Märchen vom Aschenputtel in der Version von Charles Perrault wurde vom Librettisten Jacopo Ferretti nach dem Vorbild von Pavesis Vertonung um die Figuren Alidoro, Lehrer des Prinzen Don Ramiro, und Dandini, Diener Don Ramiros, ergänzt und aller magischen Attribute entledigt. Der Prinz und sein Diener tauschen die Rollen, was zur Klärung der wahren Liebe Angelinas zum verkleideten Don Ramiro führt. Die Handlung wird gesteuert durch den Philosophen Alidoro, der in Cecilia Legorios Inszenierung sogar zum Autor der Geschichte avanciert. Zur Ouvertüre tippt er „Int. Home- Night.“ als Setting, und dann geht es los mit Aschenputtels Geschichte über die wahre Güte und Schönheit.

Rechts auf der Bühne ist als eine Art Puppenhaus das Zimmer aufgebaut, in dem Alidoro zur Ouvertüre auf seiner Schreibmaschine tippt und in dem Clorinda und Tisbe ihre Stiefschwester Angelina schikanieren. Als Bettler tritt Alidoro in die Handlung ein. Während Clorinda und Tisbe ihn verjagen, gibt Angelina ihm etwas zu essen und klagt ihm ihr Leid. Ihre Canzone: „Una volta  c´era un re,“ wird Realität, denn da kommt die Nachricht von der Brautsuche des Prinzen und die Aufforderung an alle ledigen Frauen, den Ball des Prinzen zu besuchen. Bereits im Vorfeld treten die Tänzer mit Kameras als Journalistenmeute auf, um die Brautschau des Prinzen mit Clorinda und Tisbe zu fotografieren. Angelina möchte auch zum Ball, wird aber vom Vater brutal zurückgewiesen. Nicht eine Fee wirft das Ballkleid vom Baum, sondern Alidoro schafft es herbei und führt Angelina zum Fest. „You dance love, you dance joy, and you dance your dreams,“ (Gene Kelly), der große Ball, Sehnsuchtsort Angelinas, steht nicht umsonst im Mittelpunkt des Geschehens.

Bühnenbildner Gregorio Zurla nutzt die ganze Breite des Staatenhauses, um in einer Hollywood-Ästhetik der 40-er Jahre den Ballsaal darzustellen. Clorinda und Tisbe in ihren goldenen Roben (Kostüme:  Vera Pieratoni Giua) erinnern an Ginger Rodgers und Rita Hayworth, Dandini an Fred Astaire. Angelina wird von den sechs Tänzern durch ihr Glück getragen. Jeder Takt ist choreografiert. Die sechs Tänzer und der Herrenchor der Kölner Oper unter der Leitung von Rustam Samedov als Kellnerballett mit rollbaren Banketttischen verdeutlichen die riesige Dimension des Ballereignisses. Der Tanz hat hier die dramatische Funktion, Angelinas Befreiung darzustellen. Musikalisch lässt das Dirigat des italienischen Gastdirigenten Matteo Beltrami keine Wünsche offen, das Gürzenichorchester ist agil, spritzig und rhythmisch präzise. „Nicht Magie oder ein gütiges Schicksal sorgen für den Triumph des Guten, sondern die Kraft des menschlichen Verstehens und Denkens,“ so der Dramaturg Stefan Steinmetz.

Oper Köln/CENERENTOLA/Adriana Bastidas-Gamboa, Pablo Martinez/ Foto © Matthias Jung

Bereits am 16. April 2016 debütierte die junge Adriana Bastidas-Gamboa im ersten Jahr der Ersatzspielstätte Staatenhaus als Angelina in einer konzertanten Produktion von „La Cenerentola“ und riss Presse und Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Der Genuss wird jetzt durch die szenische Umsetzung noch gesteigert. Mit samtig-warmem Mezzo meistert sie die innigsten lyrischen Momente und die atemberaubendsten Koloraturen und Sprünge. Ihr Debut als Carmen 2019 und ihr Auftritt als Miranda 2022 zeigen die Vielseitigkeit dieses Ensemblemitglieds. Ihr Appell an Güte und Verzeihen beschließt eine spritzige Komödie mit Tiefgang.

Der junge Tenor Pablo Martinez ist ein Don Ramiro, dem man anmerkt, dass er bei Juan Diego Florez studiert hat.  Mit scheinbar mühelosen Koloraturen und strahlenden Spitzentönen umgarnt er Angelina und sein Publikum. Der überschlanke Bariton Wolfgang Stefan Schwaiger ist ein Dandini, der nicht nur mit perfekter Italianitá singt, sondern auch wie Fred Astaire tanzt.

Omar Montanari als Don Magnifico ist einer der raffiniertesten Interpreten von „buffo“- und „brillante“-Rollen des Rossini-, Donizetti-, Mozart- und Belcanto-Repertoires. Er ist ein Erzkomödiant mit unfassbar beweglichem Bass, der dem herzlosen, geldgierigen, versoffenen Don Magnifico augenzwinkernd Kontur gibt.

Oper Köln/CENERENTOLA/Charlotte Quadt, Jennifer Zein/Foto © Matthias Jung

Herrlich zickig sind Clorinda (Jennifer Zein) und Tisbe (Charlotte Quadt) als böse Stiefschwestern, die sich als habgierig und oberflächlich erweisen. In den zahlreichen spritzigen Ensembles mit enormem italienischem Sprachwitz tragen sie die virtuosen Sopranpartien bei.

Mehr als ein Deus ex machina, sondern auch der Autor der Geschichte in der Optik eines Raymond Chandler, ist der junge charismatische Bass Christoph Seidl als Alidoro. Vervielfältigt durch die sechs Tänzer Giovanni Buttacavoli, Leon Di Domenico, César José Guitiérrez Salas, Spyros Ntogas, Kyle Patrick und Alex Vasquez Gala verkörpert er als Autor und Moderator die kritische Vernunft und steuert die Handlung. Ihre Schlussarie: „Non piú mesta“ (Alles wechselt stets im Leben) singt Angelina nicht in Ramiros Armen, sondern bei Alidoro – er hat sich, wie das Publikum, in seine Heldin verliebt. In dieser Abschlussarie erreicht Angelina die Güte eines Sarastro: sie predigt mit expressiven Koloraturen und erhabenen Kantilenen Verzeihen und Versöhnung.

Oper Köln/CENERENTOLA/Herrenchor der Oper Köln/Foto © Matthias Jung

Adriana Bastidas Gamboa und Wolfgang Stefan Schwaiger, beide aus dem Internationalen Opernstudio Köln erwachsene Ensemblemitglieder der Kölner Oper und Träger des von den Kölner Opernfreunden vergebenen Offenbach-Preises, knüpfen an ihre Erfolge als Figaro und Rosina in der Inszenierung des „Barbiere di Sivigllia“ von Ruth Berghaus an. Rosina traut man zu, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, aber Angelina ist in ihrem Elend auf Hilfe angewiesen.

Während der „Barbiere di Siviglia“ eine derbe Buffa ist, bei der die Figuren noch sehr der Commedia dell´arte verhaftet sind, und die Konflikte letzten Endes ungelöst bleiben, bietet Rossini hier eine echte Heldin an, mit der man mitleidet und die durch das Eingreifen eines vernunftbegabten Philosophen nicht nur ihr eigenes Schicksal überwindet, sondern auch noch ihren Widersachern verzeiht. Unversöhnliche Konflikte sind nun dem Gedanken der Versöhnung gewichen.

Der Zugang, den die junge italienische Regisseurin Cecilia Ligorio gewählt hat, fügt den Buffa-Elementen den Glamour der Traumfabrik Hollywood der 40-er Jahre hinzu und zeigt mit der Aufwertung der Figur des Alidoro, dass die Vernunft eines aufgeklärten Philosophen etwas bewirken kann. Sie gibt der Musik Rossinis die Visualisierung durch den Tanz, die in ihr angelegt ist. Standing Ovations des begeisterten Premierenpublikums. Ein veritables Vergnügen!


La Cenerentola ossia – La bontà in trionfo – Köln, Oper

von Gioachino Rossini (1792-1868) Drama giocoso nach Charles Perrault, Libretto: Jacopo Ferretti, UA: 25. Januar 1817, Teatro valle, Rom

Regie: Cecilia Ligorio, Bühne: Gregorio Zurla, Kostüme: Vera Pierantoni Giua

Dirigent: Matteo Beltrami und das Gürzenich-Orchester Köln

Solisten: Adriana Bastidas-Gamboa (Angelina), Pablo Martinez (Don Ramiro), Wolfgang Stefan Schwaiger (Dandini), Omar Montanari (Don Magnifico), Jennifer Zein (Clorinda), Charlotte Quadt (Tisbe), Christoph Seidl (Alidoro)

Besuchte Aufführung: 17. Dezember 2022 (Premiere)

Kurzinhalt

Die junge Angelina lebt als Stieftochter von Don Magnifico wie eine Dienstmagd mit ihren Stiefschwestern Clorinda und Tisbe zusammen. In de Kleidern seines Dieners Dandini trifft Prinz Don Ramiro auf die Stieftochter Angelina und ist sofort von ihr angetan. Auch sie erwidert diese Gefühle. Durch Alidoros Hilfe kann Angelina als Unbekannte am Ball des Prinzen teilnehmen. Währenddessen setzen ihre Stiefschwestern alles daran, den vermeintlichen Prinzen zu verführen und für sich zu gewinnen. Als Dandini in Verkleidung von Don Ramiro um sie wirbt, weist sie ihn ab, da sie in seinen Diener, eben den Prinz, verliebt ist. Dadurch ist Ramiro von der Aufrichtigkeit ihrer Gefühle überzeugt. Als Erkennungszeichen übergibt Angelina ihm einen Armreif, mit dem er sie wiederfinden soll. Das glückliche Ende naht: Don Ramiro findet Angelina wieder und macht sie zu seiner wahren Prinzessin. Angelina vergibt ihrem Stiefvater und ihren Stiefschwestern.

Aufführung

Bühnenbild und Kostüme sind von Revuefilmen aus den 1940er/50er Jahren inspiriert. Zu Beginn zeigt die Bühne das Innere eines Hauses mit Mustertapete, Sofa und Fenstern. Später verwandelt sich das Geschehen in eine Tanzbühne, wie man sie aus Hollywood-Tanzfilmen kennt. Die großen leuchtenden Buchstaben PALACE sind auf der Bühne aufgestellt und Spiegel im Hintergrund angebracht. Die Kostüme sind an die 1940er Jahre angelehnt: die Stiefschwestern tragen auffällige Abendgarderobe mit figurbetonten knöchellangen Tanzkleidern in Schwarz und Gold, Angelina ein weißes Satinkleid, die Herren elegante, dandyhafte Anzüge. Die Szenen werden von einem Tanzensemble aus sechs Männern mit zeitgenössischen Tanzeinlagen begleitet. Das verleiht der gesamten Inszenierung eine Leichtigkeit und Eleganz, wie man sie aus Tanzfilmen mit Fred Astaire oder Judy Garland kennt.

Sänger und Orchester

Die Ouvertüre wird von Matteo Beltrami mit einem vorsichtigen und sehr feinteiligen Dirigat eröffnet. Dabei legt er sehr viel Wert darauf, auch die kleinen rhythmischen Bewegungen hervorzuheben und schafft durch diese Präzision in allen Instrumenten einen spielerischen und glanzvollen Klang. Jennifer Zein (Clorinda) und Charlotte Quadt (Tisbe) singen beide mit einem hellen, koketten Sopran, den sie ihren Rollen entsprechend gekonnt überspitzt ausdrucksstark zur Geltung bringen. Dabei überzeugen sie gleichzeitig durch ein sehr hysterisches Schauspiel, räkeln sich auf dem Sofa, werfen sich dem Prinzen sowie ihrem Vater um den Hals, schreien und geifern auf der Bühne, was das Zeug hält.

Adriana Bastidas-Gamboa (Angelina) bildet mit ihrem dunklen Mezzosopran dazu ein Gegengewicht. Sie singt mit einer schweren und düsteren Betonung, schafft es aber auch in den Höhen zu brillieren und ihren Sopran an- und abschwellen zu lassen. Die Verzweiflung ihrer Situation bringt sie im ersten Akt durch eine zarte Betonung im sotto voce besonders gut zum Ausdruck.

Der italienische Bariton Omar Montanari (Don Magnifico) besticht durch seine unglaublich flexible Stimme, die er sowohl im Parlandostil sehr gut einsetzt, als auch in den Spitzentönen zu großem Volumen anschwellen läßt. Mit seiner, majestätisch klaren Stimme ist er besonders in den schnellen Arien ein Genuß: den Wettbewerb im Schnellsprechen gewinnt er dank seiner rhythmischen Präzision und der klaren Artikulation. Schauspielerisch betont er den Stiefvater durch überzogene Gesten als Fiesling und Trunkenbold und sorgt so für einige Lacher.

Pablo Martinez’ (Don Ramiro) Tenor hat ein helles, fast schon zerbrechliches Timbre, was sehr gut zu seiner Rolle als verliebter Prinz paßt. Im Belcanto-Stil singt er sich durch die Arien und legt dabei sehr viel Wert auf die romantischen Töne und die emotionalen Raffinessen.

Wolfgang Stefan Schwaiger (Dandini) füllt mit seinem voluminösen, sehr klaren Baß den Raum und beherrscht dabei besonders durch seine technische Sicherheit sowohl in die lauten als auch die leisen Partien. Während der Arien tanzt er stolzierend über die Bühne und erinnert dabei an Fred Astaire. Christoph Seidl (Alidoro) gibt mit seinem warmen Baß eine väterliche Figur für Angelina ab und betont dies auch durch sein Schauspiel, indem er sie in den Arm nimmt, tröstet und dabei seinen Baß sanft durch die Töne gleiten läßt.

Fazit

Bei einer so gelungenen Aufführung bleibt nicht viel mehr zu sagen als: Wow! Neben der großartigen musikalischen Leistung ist sowohl die Wahl des Bühnenbildes, der Kostüme, Tanzeinlagen und der schauspielerischen Darbietung einfach gelungen. Publikumslieblinge sind neben Adriana Bastidas Gamboa, Pablo Martinez und Omar Montanari, vor allem die Tänzer, die dem Abend einen besonderen Glanz verleihen. Einfach alles zum Genießen!

Melanie Joannidis

Bild: Matthias Jung

Das Bild zeigt: Herrenchor der Oper Köln, Tänzer, Omar Montanari (Don Magnifico)

Veröffentlicht unter Köln, Bühnen der StadtOpern


https://www.mundoclasico.com/articulo/38200/La-cenerentola-de-Hollywood-y-Broadway-en-la-Ópera-de-Colonia


La Cenerentola ossia La bontà in trionfo
(Das Aschenputtel oder Der Triumph der Güte)

Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Jacopo Ferretti
Musik von Giacchino Rossini
in italienischer Sprache mit deutschen ÜbertitelnAufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)Premiere im Staatenhaus Köln-Deutz (Saal 1) am 17. Dezember 2022
(rezensierte Aufführung: 25. Dezember 2022)

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Sechs Personen finden Ihren Drehbuchautor

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung

Das Märchen vom Aschenputtel, das aus Schmutz und Asche zur Prinzessin aufsteigt, wird bei Gioacchino Rossini zum aufklärerischen Lehrstück veredelt: Der Philosoph und fürstliche Erzieher Alidoro zieht die Fäden, auf dass vor dem Eheglück die Erkenntnis der wahren Tugend stehe. Die mit der Figur typischerweise verbundenen Märchenaccessoires wie die Tauben oder der verlorene Schuh fehlen. Viel wichtiger ist die Frage: Willst Du mich unabhängig von meinem sozialen Status heiraten? Dafür braucht es keinen Märchenprinzen, und dann kann man die Geschichte auch aus der Es-war-einmal-Zeit in die jüngere Vergangenheit verfrachten, was in dieser Produktion bedeutet: in das Hollywood der großen Musicalfilme, die Ära Fred Astaires, Ginger Rogers’ oder Gene Kellys. Weil der fürstliche Ball und damit das Tanzen im Zentrum steht, ist diese Verschiebung durchaus schlüssig. Und diese Art von Glanz und Glamour ist uns fraglos näher als der verblichene Firnis der Aristokratie.

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Drehbuchautor auf Stoffsuche: Der Philosoph Alidoro

 

Nun würde eine Verschiebung von einer Vergangenheit in eine andere (das typische Mittel, wenn einem Regisseur nichts einfällt) noch keine gute Inszenierung ergeben. Die Italienerin Cecilia Ligorio, die hier ein fulminantes Deutschland-Debut gibt, geht raffinierter vor. Sie durchbricht die Erzählebenen und macht den Philosophen Alidoro zum Drehbuchautor, der über der Story grübelt. Plötzlich werden seine Figuren lebendig, und das könnte ganz schrecklich im Kitsch enden, ist aber hinreißend charmant auf die Bühne gebracht. Zunächst sind es nämlich unzählige Doppelgänger, die mit großer Eleganz hervorgezaubert werden: Jeder Chorist ein Alidoro. Und überhaupt besticht der Abend durch eine ungeheuer präzise Personenregie oder besser -choreographie, die das Solistenensemble, den für Rossinimaße riesigen (nicht nur toll singenden, sondern auch sehr spielfreudigen) Herrenchor und noch eine sechsköpfige Tänzergruppe umfasst, die den Chor szenisch verstärkt (Choreographie: Daisy Ransom Phillips).

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Don Ramiro, der sich als Chauffeur ausgibt, und das Aschenputtel Angelina finden sich auf den ersten Blick sympathisch

 

Wenn schon Hollywood, dann muss auch die Optik stimmen. Vera Pierantoni Giua hat hinreißende Kostüme entworfen, und Bühnenbildner Gregorio Zurla sorgt auch im Staatenhaus, dem Interimsquartier der Kölner Oper während der unendlichen Sanierung des Opernhauses, ohne große Bühnentechnik für viel Glamour. Aber die Regie verliert sich nicht an der glänzenden Oberfläche; sie spielt mit Stereotypen und stellt die Glitzerwelt unaufdringlich infrage. Das ist immer ganz nah an Rossini wie am Kern des Aschenputtel-Märchens, aber es will nicht belehren und nicht erklären, sondern lustvoll Theater spielen. Was auch heißt: Unterhalten. Es gibt ein paar sehr witzige Momente, aber es läuft nicht auf Klamauk hinaus. Davor schützt schon die leise Sentimentalität dieser Musical-Welt, und eben auch der ständige Perspektivwechsel. In der Gewitterszene vor dem Finale fliegen dem Drehbuchautor die Seiten davon, und die sechs Personen der Haupthandlung – das Aschenputtel (italienisch: Cenerentola) Angelina, ihr Steifvater Don Magnifico, die eitlen Stiefschwestern Clorinda und Tisbe, der als Diener (hier: Chauffeur) verkleidete Prinz Don Ramiro und der den Fürsten gebenden Diener Dandini – setzen sie gemeinsam zusammen. Damit umgeht die Regie geschickt das etwas einfältige Märchenfinale mit Hochzeit und Vergebung. Angelina wendet sich am Ende nicht ihrem adeligen Liebhaber, sondern dem Drehbuchautor zu. Und damit bleibt das Ende letztendlich offen: Rossinis glückliches Finale erscheint als eine von vielen Möglichkeiten.

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Großer Ball im Palast

 

Die Sängerdarsteller passen optisch perfekt in ihre Rollen. Allen voran an diesem Abend Stefan Wolfgang Schwaiger als Diener Dandini, der mit dem Fürsten die Rolle tauscht und das mit bewundernswerter Eleganz und Perfektion: Ein Dandy durch und durch. Vokal könnte die schlanke, bewegliche Stimme noch ein wenig mehr sonoren Unterbau gebrauchen. Das gilt auch für den echten Prinzen, den Pablo Martinez mit leichtem, hellem Tenor gibt. An diesem Abend singt Anna Alás i Jové die Angelina mit interessantem Mezzotimbre und glasklaren Koloraturen. Im ersten Teil ist sie (Nervosität?) bei den Einsätzen gerne eine Zehntelsekunde zu spät, was bei den höllischen Rossini-Tempi viel ausmacht, im Laufe der Aufführung gewinnt sie erheblich an Souveränität und spielt und singt sich mehr und mehr ins Zentrum der Aufführung. Dem Stiefvater Don Magnifico gibt Omar Montanari komödiantischen Charme. Giulia Montanari ist eine soubrettenhaft leichte Clorinda, Charlotte Quadt eine klangschöne Tisbe. Christoph Seidl ist ein solider Alidoro, der sich über manche Koloratur hinwegmogelt.

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Angelina bedankt sich beim Drehbuchautor für das happy end

 

Am Pult des sehr agilen Gürzenich-Orchesters sorgt Matteo Beltrami einerseits für immer wieder atemlos drängende Tempi, aber auch für Ruhepunkte, in denen sich der verzierte Gesang entfalten kann. Der schlanke, nuancierte und sorgfältig durchgehörte Orchesterklang orientiert sich an der Rossini-Zeit. In der heiklen Akustik des Staatenhauses kann das Orchester die Sängerinnen und Sänger auch schon mal zudecken. Und auch wenn der ganz große stimmliche Glanz ausbleibt, gelingt doch eine auch musikalisch mitreißende, in den Ensembles gut durchgestaltete Aufführung.


FAZIT

Brillante Inszenierung, spritzige Musik: Mit punktgenauer Personenregie und Gespür für große Bilder funktioniert La Cenerentola mit manchen Brechungen auch als Revue in der Traumfabrik Hollywood ganz ausgezeichnet.

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Foto © Matthias Jung
Aktuelle Aufführungen

Springflut der Fantasie

LA CENERENTOLA
(Gioacchino Rossini)

Besuch am
21. Dezember 2022
(Premiere am 17. Dezember 2022)

 

Oper Köln, Staatenhaus Deutz

Warum nicht einmal mit dem Ende anfangen? Im Finale der Neuproduktion von Gioacchino Rossinis Oper La Cenerentola steht Angelina exponiert auf dem schmalen Steg, der sich im Kölner Staatenhaus über die ganze Breite vor dem Orchesterpodium entlang zieht. Sie ist allein, ganz bei sich. Lediglich vom charismatischen Alidoro begleitet, fast abgeschirmt. Die Bühne ist jetzt ausschließlich ihr Revier, obwohl mehrere Dutzend Augenpaare von Sängern, Choristen und Tänzern auf sie gerichtet sind. Ihr fulminantes Abschiedsrondo Nacqui all’affanno – Non più mesta, ausklingend mit dem Chor, der alle Schatten des Vergangenen davonjagt, ist musikalisch wie dramaturgisch das erhoffte lieto fine. Schluss eines Märchens, das vom Liebenswerten wie von der Bösartigkeit des Menschen erzählt.

Es ist der eine große Ruhepunkt, den Regisseurin Cecilia Ligorio sich und den Protagonisten in einer Inszenierung gestattet, die auf Tempo, Bewegung und Dynamik setzt. Das Dramma giocoso, zum Karneval 1817 im Teatro Valle in Rom uraufgeführt, ist bereits ein Spektakel der Exzellenz. Die Partitur ist mit atemberaubenden Crescendi, perlenden Sechzehntelnoten sowie Kantilenen und Ensemblenummern im Stil der turbulenten Rossini-Girlanden gespickt. Es kombiniert Belcanto der gehobenen Klasse mit witziger Spielfreude, kuriose Randfiguren mit Situationskomik.

La Cenerentola ossia La bontà in trionfo, halb buffa, halb semiseria, ist eine Geschichte von oben und unten in der Gesellschaft. Sie passiert seit 200 Jahren auf allen Opernbühnen der Welt mit dem Vorzug, dass sie gut ausgeht und das Glück schenkt, das wir märchenhaft nennen. Sie erzählt von einer Welt, die streng trennt zwischen der feinen Herrschaft und ihren Bediensteten. Die da oben sind aber weder fein, geschweige nobel. Und die da unten müssen auch noch erleben, verachtet zu werden.

Foto © Matthias Jung

Die „Springflut der Phantasie“, von der der Rossini-Kenner und Cenerentola-Liebhaber Stendhal spricht, toppt Ligorio noch um eine Drehung. Angelinas Bitte an ihren Stiefvater, er möge sie doch auf den Ball des Prinzen mitnehmen, weil sie tanzen möchte, ist der Dreh- und Angelpunkt ihres Regiekonzepts. Im Team mit Bühnenbildner Gregorio Zurla und Kostümbildnerin Vera Pierantoni sowie der Choreografin Daisy Ransom Phillips fokussiert sie die Komödie auf den großen Ball, auf dem sich Aschenputtels Dasein als geknechtete Küchenmagd zum Glück wendet. Das Leben ein Tanz, die Geschichte einer Verwandlung quasi als Tanzrevue.

Das Puppenhaus im rechten Teil der Bühne lässt noch Assoziationen zu Charles Perraults Fassung des Märchens zu, das dem Libretto von Jacopo Ferretti zugrunde liegt. Hier schurigeln die garstigen Schwestern Clorinda und Tisbe die Küchenmarkt Angelina, die man über eine Seitentür aus dem Raum scheuchen kann. Die Regieakzente verschieben sich recht schnell in dem Maße, wie die Auftritte der einzelnen Sängerdarsteller zu Tanzszenen entwickelt werden.

Mit Kameras ausgestattete Tänzer mimen eine Medienmeute, die jeden Augenblick der Brautwerbung im Bild festhalten möchte. Dandini, Diener des Fürsten Ramiro, entert die Szene wie ein Revuestar. Wiederum Tänzer vermitteln der Fürstin in spe eine Ahnung vom künftigen glücklichen Leben, wenn sie sie in Höhen wuchten, die über das Irdische hinauszuführen scheinen. Der prächtig aufgelegte Herrenchor, einstudiert von Rustam Samedov, tanzt und singt rund um weiß gedeckte Banketttische, die das wohlige Gefühl eines ballrooms amerikanischer Prägung hervorrufen.

Wie schon in Leonardo Muscatos Bonner Inszenierung 2021 spielt Alidoro in Ligorios Regiekonzept eine sehr spezielle, aufgewertete Rolle. Zu Beginn sitzt der Lehrer des Fürsten im Wohnzimmer Don Magnificos, später am linken Bühnenrand, und arbeitet zur Ouvertüre an einem Manuskript. Die auf die Bühne in Leuchtschrift gerollte Zeile Int. Home-Night erweckt den Eindruck, als entstehe jetzt erst der Plot. Alidoro, gespielt von Christoph Seidl, avanciert im Verlauf des Geschehens zum Librettisten. Es ist Alidoro, der in der Rolle des hungrigen Bettlers die Empathie Angelinas testet und bestätigt findet. Es ist Alidoro, der die Fäden zieht und Aschenputtel das Ballkleid offeriert. Es ist Alidoro, der wie ein Spielleiter durch die räumliche und soziale Ober- und Unterschicht dieser Produktion schreitet.

So fantasievoll die Inszenierung ist, so nicht ganz schlüssig ist sie in Teilen. Die „Enttarnung“ Angelinas auf dem Ball ist keine, da sie die ganze Ballszene über als diejenige zu erkennen ist, in die sich Ramiro im Hause Magnificos verliebt hat. Der Blitz, von dem Alidoro nach der in der Vorlage beschriebenen Entschleierung Angelinas berichtet, kann so gesehen eben nicht zünden. Die Commedia-dell’Arte- und Slapstick-Einfälle, die Ligorios Personenregie bestimmen, generieren allerlei Kurzweil und Vergnügen beim Publikum. Ob indes der Fürst, immerhin ein Aristokrat, in Dienerlivree hinter einer Unbekannten niederen Standes herläuft, ist schon überzeichnet. Auch die Wand über dem Kamin im Puppenhaus mit Broadway-Filmplakaten und Abbildungen von Fred Astaire und anderen Tanzstars der 1940-er Jahre wirkt arg willkürlich. Sie hat nichts mit der Märchenwelt nach Charles Perrault zu tun, aber alles mit einer Regie, die an der Kurbel dreht.

Die musikalische Dimension bewegt sich auf einem Niveau, das regelmäßig etwa beim Festival Rossini in Wildbad im Schwarzwald zu erleben ist. Wenn auch nicht ganz auf der Höhe der Produktion dort 2004 mit Joyce di Donato und José Manuel Zapata als am Ende vereintes Liebespaar sowie Alberto Zedda am Pult. Das Gürzenich-Orchester Köln steigert sich unter der Leitung von Matteo Beltrami in ein Belcanto-Fest. Es „erlaubt“ sich allerlei Witz, den die Trompete, die Violinen und insbesondere Theresia Renelt am Hammerflügel liefern, mit großem Spaß an ihrem exquisiten Handwerk.

Adriana Anna Alàs i Jové, die als Angelina der Premierenbesetzung Adriana Bastidas-Gamboa folgt, steigert sich bei ihrem Rollendebüt nach einem verhaltenen Beginn mit der Sehnsuchtsarie Una volta c’era un re zu einer ausgezeichneten Leistung. Die Mezzosopranistin beherrscht die lyrische Innigkeit des armen Wesens wie die prätentiös gespielte Pose beim Ball des Fürsten. Ihre Koloraturen sind technisch ausgezeichnet, die Höhe ihrer Stimme beeindruckt. Ihre von disruptiven Sprüngen begleiteten vokalen Linien erinnern an Wasserspiele in Schönbrunn oder Versailles. Leider fehlt der samtene Melos in der tiefen Lage, die diese Rolle so einzigartig in den Partien macht, die Rossini für das von ihm präferierte Mezzo-Fach komponiert hat.

Pablo Martinez ist mit seinem schlanken, lyrisch geprägten Tenor, an den Rossini-Spezialisten Juan Diego Flórez erinnernd, ein sympathischer Ramiro, in den sich eine junge Frau fürwahr verlieben kann. Im Duett mit Angelina Un soavve non so che, einer der prächtigsten Belcanto-Architekturen Rossinis überhaupt, übernimmt er mit der fast gehauchten Introduktion Tutto è deserto eine Führungsrolle, die ihm am Ende ja auch das Märchen schenkt.

Foto © Matthias Jung

Wolfgang Stefan Schwaiger als Dandini ist unter den Sängern die angenehmste Überraschung des Abends. Der Bariton ist auch tänzerisch begabt und zaubert Stepptanzschritte auf den Bühnenboden, während er mit dem großartigen Verführungsduett Zitto, zitto, piano, piano zusammen mit Ramiro das sprudelnde Finale eins auf Touren bringt. Omar Montanari gibt den Erzkomödianten Magnifico, korrupt, empathielos und grob, mit großem Gespür für die Buffo-Elemente dieser Partie. Was die Rolle an poltrigen Ausbrüchen zulässt, schmettert er mit Kraft und Vehemenz heraus. Was sie an nuancierten Farben zu bieten hat, bleibt er leider schuldig. Beides wird in seiner Kavatine Miei rampolli femmini, einem Traum vom Reichtum, in dem ein Esel auf der Kirchturmspitze landet, manifest.

Jennifer Zein als Clorinda und Charlotte Quadt als Tisbe, in dieser Rolle auch schon bei der Bonner Cenerentola auf der Bühne, sind in einem Atemzug zu nennen. Sie überzeugen als Buffo-Paar. Mit ihrer Introduktion No, no, no, non v’è´ wird gleich zu Beginn deutlich, dass sich da zwei maßlos überschätzen und nichts als Herzenskälte zu bieten haben. Als Darstellerinnen sind sie von der Regisseurin allzu zickig angelegt. Außerdem ist ihr Bewegungsrepertoire nach drei, vier Szenen bereits ausgeschöpft.

Rossinis Gabe, Melodien im Champagnerkelch zu kredenzen und Sängern die charakteristische Note auf die Kehle zu schreiben, äußert sich am eindrucksvollsten in den Ensemblenummern. Von denen gibt es hier mindestens zwei Prachtexemplare. Auf dem instrumentalen roten Teppich, den Beltrami mit sichtlichem Vergnügen ausrollt, zaubern die Ballbesucher im Sextett Parlar, pensar, vorrei jene Verblüffung herbei, von der das Libretto spricht. Noch brillanter gestaltet das Ensemble in feiner Koordination mit der Regie das Sextett Siete voi? Questo è un podo aviluppato. Einträchtig kuschelt sich die Bagage auf dem Sofa zusammen, wobei Angelina dabei Blätter an alle verteilt. Vielleicht die Noten.

Im begeistert applaudierenden Publikum im fast ausverkauften Saal, das alle Mitwirkenden, besonders die Tänzer und den Chor feiert, befinden sich zahlreiche junge Leute, auch Kinder. Aktionen in Schulen und Theatervereinigungen pro Opernbesuch scheinen sich auszuwirken. Die Jugendlichen haben zwar nicht das Aschenputtel-Märchen ihrer Kindheit erlebt, aber immerhin das, was das Musiktheater in seinen guten Stunden zu bieten hat. Eine Kunst, die sie vielleicht auch künftig erleben möchten. Hoffentlich …

Ralf Siepmann


Italo-Power bei Cenerentola

Italienische Power im Staatenhaus

Der Trailer: https://www.oper.koeln/de/#

Wer das Glück hatte, die famose Adriana Bastidas–Gamboa 2016 In der semi-szenischen Aufführung im Kölner Staatenhaus erlebt zu haben, hat vielleicht eine Vorstellung davon, was ihn nun bei der regulären Aufführung erwarten konnte. https://www.kulturcram.de/2016/04/la-cenerentola-konzertant-fast-eine-komplette-inszenierung/ Die Regisseurin Eike Ecker hatte damals eine hoch bejubelte Arbeit abgeliefert; das selbe muss ihrer italienischen Kollegin Cecilia Ligorio neidlos bescheinigt werden. Diese ist in ganz Italien sehr hoch geschätzt, sie ist Schauspielerin, Librettistin und Regisseurin, ihre Spezialgebiet ist die Verbindung zwischen Musiktheater und Tanz. Das zeigte sie bei ihrer ersten Arbeit in Deutschland sehr eindrucksvoll.

Es verblüfft den Berichterstatter immer wieder, was in der Oper den Produktionsteams so alles einfällt. Und da sind die Italiener als „Erfinder“ der Oper oft weit voraus. Das Staatenhaus erlebte eine italienische Power: Die italienische Oper selbst von einem sehr berühmten italienischen Komponisten, dann die bereits genannte italienische Regisseurin, der Italienische Dirigent Matteo Beltrami, der Bühnenbildner Gregorio Zurla, die Kostümbildnerin Vera Pierantoni und der Lichtdesigner Marco Giusti. Auch Omar Montanari, der Sänger des Don Magnifico, ist Italiener. Nur die Choreografin des unglaublichen Herrenballetts, Daisy Ransom Phillips, ist aus Amerika; sie arbeitet allerdings regelmäßig mit der Regisseurin. Bei dieser südländischenFülle kann eigentlich nichts schiefgehen – ging es auch nicht.

Es begann mit einer halben Bühne – nur rechts. Da sitzt jemand an einer alten Schreibmaschine und tippt verzweifelt vor sich hin. Schmeißt jede Menge Geschriebenes weg. Das konnte eigentlich nur Alidoro (Christoph Seidl)  sein, der Philosoph Rossinis, der sich hier zum Librettisten wandelt, später mit seinem Schreibtisch nach links rüberzieht, und sich die meisten Zeit literarisch mit dem Stück beschäftigt.

Nach und nach kommen die Protagonisten auf die Bühne, die beiden durchgeknallten, extrem agierenden Schwestern Clorinda und Tisbe (Jennifer Zein und Charlotte Quast), der Papa Don Magnifico (Omar Montanari) und der inkognito und auf Freiersfüßen agierende Prinz Don Ramiro als Diener (Pablo Martinez) im schlichten blauen Anzug. Sein tatsächlicher Kammerdiener Don Dandini (Wolfgang Stefan Schwaiger) gibt sich als den Prinzen aus und wird von den beiden Damen und auch von deren finanziell klammen Vater heftig umschwärmt, der auf eine saftige Mitgift spekuliert.

Die Geschichte der Cenerentola, ossia La bontà in trionfo (deutsch: Aschenputtel, oder Der Triumph des Guten) ist sehr alt, wurde immer wieder umgeschrieben „Ruckedigu, Blut ist im Schuh“, das kennt jeder Märchenliebhaber, wo sich die Schwestern ihre Füße beschneiden, um in die berühmten Schuhe zu passen. Rossini verwendet für seine geniale Oper jedoch die Fassung von Charles Perrault und das Libretto von Jacopo Feretti, als harmloseres Erkennungszeichen gibt es ein Armband des Prinzen. Cenerentola ist die Stiefschwester der beiden Schwestern, wird drangsaliert und muss im Hause niedere Dienste verrichten. Der Prinz entdeckt sie und ist begeistert von ihrer Schönheit. Köstlich das Liebesduett mit dem Prinzen beim Wäschefalten.

Regisseurin Cecilia Ligorio hat ihrem Ruf gemäß aus der Geschichte ein Broadway-Musical gemacht, mit allerlei bunten und sehr beweglichen Revue-Elementen. Dabei sind die tanzenden Kellner der Oberkracher, die heftige Lachsalven nach sich zogen, genauso wie die Besen schwingenden Putzmänner und die sich bewegenden Tische. Man hatte kaum genügend Augen, alles zu registrieren. Da haben die Kostümabteilung und die Maske ganze Arbeit geleistet. Köstlich auch die intensiv sogar vom Dach aus fotografierenden Neugierigen, eine böse Anspielung auf die allgegenwärtigen Paparazzi unter den Schönen und Reichen.

Star der Aufführung war eindeutig die Kolumbianerin Adriana Bastidas-Gamboa, seit Jahren ein Garant für exzellenten Gesang und exzessives Spiel; in jüngster Zeit spektakulär als Carmen und als Rosina im Barbier von Sevilla. Ihr dunkler, oft geheimnisvoller und dennoch sehr beweglicher Mezzo, verbunden mit verblüffend präzisen und mitreißenden Koloraturen, ist immer wieder eine Freude zu hören.

Musikalisch ist ansonsten alles vom Feinsten. Dirigent Matteo Beltrami läßt das sehr aufmerksame Gürzenichorchester einen fein ziselierten Rossini spielen, mit herrlichen Bläserpassagen und ohne die Sänger zuzudecken. Wer genau hinschaute, konnte erkennen, daß er alle Arien mitsang – allerdings hatte er die Partitur vor der Nase. Theresia Renelt am Hammerflügel begleitete engagiert mit gelegentlichen hübschen Ausflügen in die leichtere Muse. Und interessant: der Souffleuerkasten war ungewöhnlich groß, die Souffleuse dirigierte heftig parallel zu Beltrami. Sonst wäre die komplexe Inszenierung wohl kaum präzise zu stemmen.

Pablo Martinez als Don Ramiro ist der klassische Spieltenor mit mit strahlende Stimme und schönen Koloraturen. Ihm läuft jedoch Wolfgang Stefan Schweiger als sein Diener Dandini den Rang ab mit einem volltönenden, sehr beweglichen Bassbariton und köstlichem Spiel.

Die beiden Schwestern Jennifer Zein und Charlotte Quadt ergänzen sich herrlich sowohl musikalisch als auch szenisch. Der Literat Omar Montanari als Don Magnifico erfreut mit fantasievollen Spiel in einer ungewohnten Rollendarstellung. Und der ewig betrunkene Don Magnifico (Omar Montanari) versucht seine aufgebrezelten Töchter sehr wohlklingend an den Mann bzw. an dessen Diener zu bringen. Fast die ganze Aufführung lang agiert Christoph Seidl als Literat Alidoro auf der Bühne, an seiner alten Schreibmaschine oder das Gewusel ordnend. Mit sehr schöner und kräfiger Stimme, wenn er auch mit den Koloraturen etwas Mühe hat.

Auch szenisch gab es viel Erfreuliches. Wie der Palast des Prinzen, der nur aus einem riesigen Schriftzug besteht. Originell und nicht so teuer. Oder die Situation, wo der gesamte Herrenchor als Alidoro-Vervielfachung aus dem Ball im Palast des Prinzen beim Anblick der unbekannten Schönen geschlossen in Ohnmacht fällt.

Als letzte Premiere im laufenden Jahr ist diese Cenerentola außerordentlich empfehlenswert, Aufführungen noch bis zum 8. Januar 2023. Tickets hier: www.oper.koeln

Foto: Michael Cramer

Text von Michael Cramer

Fotos: © Matthias Jung

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